Theo de Boer, Medailonek Ladislava Hejdánka
| raw | skeny ◆ článek, německy, vznik: 1986 ◆ poznámka: při příležitosti předání čestného doktorátu univerzity v Amsterodamu

Strojový, zatím neredigovaný přepis

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Der Senat der Universität Amsterdam hat auf Antrag der Philosophischen Fakultät und im Einvernehmen mit dem Rat der Universität beschlossen, Herrn Ladislav Hejdánek das Ehrendoktorat der Philosophie zu verleihen, und zwar aus folgenden Gründen: wegen seiner Beiträge zur Philosophie der Gegenwart, wegen des Offenhaltens des Dialogs zwischen der Philosophie in der Tschechoslowakei und der Philosophie im Westen, und wegen seiner Verteidigung der Freiheit der Philosophie. Es scheint angebracht, zu dieser Gelegenheit bei jedem dieser drei Gründe einen Augenblick zu verweilen. Im Zentrum des Denkens Hejdáneks, seit er im Alter von 25 Jahren promovierte, steht der Wahrheitsbegriff. Der Titel seiner Doktorarbeit lautete: Der Begriff der Wahrheit und einige seiner ontologischen Voraussetzungen. Eine Abhandlung aus letzter Zeit, die nur in Samizdatform zirkuliert, ist überschrieben: Das Verständnis der Wahrheit und deren mèontologische (nichtontologische) Voraussetzungen. Warum ist in der Überschrift 'ontologisch' ersetzt durch 'nichtontologisch', und was bedeuten diese Worte? Der Sprachgebrauch stammt von Heidegger aber er bekommt einen eigenen Inhalt. Aus den gebrauchten Worten geht hervor, dass Hejdánek sich mit einem typisch philosophischen Thema beschäftigt: die Kriterien, auf Grund welcher wir etwas für wirklich oder nicht wirklich halten. Man kann auch sagen: die Massstäbe, infolge deren wir etwas als Sinn oder als Unsinn betrachten und die im gewöhnlichen Leben meist implizite bleiben. Die Veränderung in der Überschrift - die Ersetzung von 'ontologisch' durch 'nichtontologisch' erweist weiterhin, dass er ein immer grösseres Gewicht demjenigen beilegt, das nach gängigen Massstäben als 'nicht Seiendes' betrachtet wird, und dass er dieses sogar als Grundlage der Wahrheit betrachtet. Es sind ja gerade unsere eingeschliffenen Denkgewohnheiten, die uns diktieren, was zum Seienden und was zum Nichtseienden gerechnet werden soll. Das Nichtseiende ist das jenige, das nicht zählt. Es zählt nicht mit, weil es im Rahmen des objektivierenden Denkens nicht zum Vorschein kommen kann. In diesem Rahmen, in welchem wir Modernen auf die Wirklichkeit zugehen, erscheint Seiendes als Objekt oder Gegenstand, als etwas, das uns gegenübersteht, das anzuschauen und anzufassen ist, dessen Realität ohne weiteres feststeht, und das für unsere Zwecke angewendet werden kann. Das Nichtseiende überschreitet diesen Bereich, und doch verschafft es sich Achtung. Noch stärker: es nimmt uns in Anspruch, es appelliert an uns und verpflichtet uns. 1

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2 Weil es sich Achtung verschafft, ist das nichtobjektive Seiende in der Tat nicht nichts. Wir können es in der Philosophie zur Sprache bringen, indem wir bestimmte Fragen stellen. Jan Hus hatte zur Devise: die Wahrheit siegt, 'veritas vincit'. Was aber meinen wir, wenn wir sagen, dass die Wahrheit siegen wird? Wir meinen nicht die Wahrheit als Übereinstimmung mit der hantierbaren Wirklichkeit, denn gerade die Wirklichkeit wird, wie wir hoffen, der Wahrheit weichen. Wenn wir behaupten, wir respektieren die menschliche Würde, welch Ungreifbares respektieren wir dann? Wohl nicht ein Seiendes oder ein Objekt. Für den Christen Hejdánek ist auch der Appell Gottes eine Wirklichkeit, welche nicht, als wäre sie ein Seiendes, in einem Mythos oder Dogma festgelegt werden kann. Als letztes Beispiel nenne ich das Wort des Dichters, das, wie Hejdánek in einer Studie über den tschechischen Dichter Halas sagt, nicht objektiviert sondern zuhört und empfängt. Ich kann von Hejdánek's Philosophie hier nur einen Eindruck vermitteln, aber wenn wir die Beispiele überblicken, können wir Folgendes feststellen. Die Wahrheit betrifft nicht etwas unserem fixierenden Blick Gegenwärtiges, sondern eine offene Zukunft, deren Gestalt in unsere Hände gelegt ist. Die Wahrheit ist die Quelle unseres Handelns. Hejdánek führt gerne den Ausspruch seines Lehrers Rádl an, dass eine Philosophie ein Programm für die Reformierung der Welt ist und dass ihr Zweck die Tat ist. Dessen paradoxer Ausspruch, das Sollende sei der Quell des Seienden, wird von Hejdánek so ausgelegt, dass das Wahre erst durch das Engagement des Menschen zur Wirklichkeit werden kann. Die Dimension des Nichtseienden, zu welcher der Mensch hin offensteht, hat somit wichtige anthropologische Konsequenzen. Wenn man den Menschen mit dem objektiven Denken identifiziert, kann man beharren bei der modernen, seit Descartes gängig geworden Auffassung, infolge welcher der Mensch ein unumschränkt herrschendes und überlegenes Subjekt sei, das die Wahrheit wohl oder nicht besitzen kann. Wer aber über diesen Horizont des objektivierenden Denkens hinausblickt - wer sich nicht ohne weiteres den geläufigen Kriterien anschliesst für dasjenige, was als Wirklichkeit gelten darf - wird auch der Grenzen seiner Freiheit inne. Oder anders gesagt, er oder sie entdeckt eine Freiheit anderer Art, eine Freiheit, die sich inspiriert weiss. Genau dieses ist mit dem Wort 'Engagement' gemeint. Den bisher genannten Namen lässt sich entnehmen, dass dieser enge Zusammenhang von theoretischer und praktischer Philosophie eine typisch tschechische Tradition darstellt. Über Rádl und Masaryk geht diese zurück auf Comenius und Hus. Auch Jan Patočka, Hejdáneks zweiter Lehrer, muss hier genannt werden.

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3 Damit komme ich zum zweiten Grund für die Verleihung des Ehrendoktorats: dem Unterhalten des Dialogs zwischen der tschechischen Philosophie und der Philosophie im Westen. An erste Stelle gehört hier das philosophische Seminar, das seit 1980 im Hause Hejdáneks stattfindet und in welchem mittlerweile eine grosse Zahl westlicher Philosophen das Wort geführt hat. Hierdurch ist ein Strom von Ideen in die Tschechoslowakei geflossen. Aber das Umgekehrte ist auch der Fall, und gerade dies habe ich im bisher Gesagten betont. Ein Dialog ist erst sinnvoll, wenn beide Parteien ihren Anteil einbringen. Wo in manchen sprachbildenden Kreisen der Philosophie im Westen der Tod des Subjekts, die Verantwortung als humanistischer Ballast und die Wahrheit als Unterdrückungsmechanismus zu populären Ideen geworden sind, da dient es der Aufklärung und Erweiterung des Geistes, Kenntnis zu nehmen von einer Tradition, der das Erstreben der Wahrheit und das Übernehmen der Verantwortung gerade als Quell der Freiheit gelten. Übrigens gibt es Probleme, die dem Osten und dem Westen gemeinsam sind. Dazu gehört die Aufgabe, den Sinn und den Bereich des objektivierenden Denkens zu bestimmen, d.h. des Denkens, das in der modernen Welt - von Kalifornien bis zum Ural - solch grosse Triumphe gefeiert hat, aber dessen Grenzen zu ahnen man jetzt auch anfängt. Hejdánek is der Meinung, dass die Welt, die - als Erbin des griechischen Logos - die Macht dieses Denkens entdeckt hat, als erste dazu bestimmt ist, sich auf die Beschränkungen dieses Denkens zu besinnen. Das Ehrendoktorat kann ein Anlass sein, die Diskussion dieses Sachverhalts zu fördern. Es wäre jedenfalls der Wunsch des Ehrendoktors selber. Ich werde hier nicht die vielen Machenschaften aufzählen, denen Hejdánek und der Kreis seiner Schüler im Laufe der Zeit von seiten der Machthaber unterworfen wurden. Erwähnen will ich nur die Worte, mit denen Hejdánek Versuche der Behörden, sein Seminar ins Regime zu integrieren, zurückwies: "Solange sie ihre Privatsache zur öffentlichen machen, sehe ich mich genötigt, meine öffentliche Sache privat zu halten". Dieser Aphorismus verrät ein gutes Gefühl für Verhältnisse. Philosophieren ist eine öffentliche Sache, solange es der öffentlichen Debatte ausgesetzt ist. Wenn eine der Parteien ihre Ideenwelt zum Monopol macht, ist diese zur Privatsache geworden. Die einzige Art und Weise, sich dieser Privatisierung zu entziehen und dabei den öffentlichen Charakter des eigenen Denkens zu wahren, ist: nicht mitmachen. Hiermit habe ich bereits den dritten Punkt dieser Laudatio angeschnitten: die Verteidigung der Freiheit der Philosophie. Hejdánek hat nie ein Politiker

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4 sein wollen. In seinem Seminar wird Philosophie getrieben, keine Politik. Trotzdem hat es ihn in die Politiek verschlagen. Der polnische Dichter Czeslaw Milosz hat einmal gesagt, dass schon ein Körnchen Politik die Literatur zur Stereotypie und Sterilität verurteilt. So steht es auch um die Philosophie, aber sie kann, gerade indem sie keine Politik betreibt, eine politische Bedeutung bekommen. Hejdánek hat das einmal so umschrieben: "Ein Philosoph soll sich dessen bewusst sein, dass sein Werk auch immer eine politische Dimension hat und politische Folgen mit sich führt. Nicht jede Gesellschaft kann es sich erlauben, philosophischen Reflexionen alle Freiheit zu gewähren; weil aber echte Philosophie solch freier Reflexion nicht entsagen kann, muss sie, sowohl unmittelbar durch ihr Philosophieren wie auch durch das politische Engagement des Philosophen, sich bemühen um eine solche Gesellschaft und ein solches politisches Klima, dass die Philosophie darin gut zu atmen vermag. (...) In unserer tschechischen Tradition - so noch immer Hejdánek hat sich der von Masaryk gebildete Ausdruck 'nichtpolitische Politik' gewissermassen (...) eingebürgert. Ich glaube, dass in diesem Sinn jede echte Philosophie Politik sein muss, das heisst nicht-politische Politik'." Am Anfang habe ich gesagt, die Philosophie beschäftige sich mit den Kriterien des Seienden und des Nichtseienden. Die Wahrheit Sprechen ist nach Aristoteles' Definition eine recht einfache Sache: Sagen des Seienden, dass es ist, und des Nichtseienden, dass es nicht ist. Indem er sich hieran hält, ist Hejdánek ein hervorragender Philosoph und zugleich, in sokratischer Tradition, das Gewissen der Polis geworden, ein freier Geist in einer unfreien Gesellschaft. Jemand, von dem die bemerkenswerte Äusserung stammt, er habe sich nirgens so befreit gefühlt wie im Gefängnis. Hier berühren wir wahrscheinlich das Geheimnis, wodurch Hejdánek trotz schwieriger Umstände ein unerbitterter und wie viele, die ihn kennen, wissen auch ein besonders fröhlicher Denker geblieben ist. Wir ehren ihn heute mit einem Ehrendoktorat wegen seiner Beiträge zur Philosophie der Gegenwart, wegens des Offenhaltens des Dialogs zwischen der Philosophie in der Tschechoslowakei und der Philosophie im Westen, wegen seiner Verteidigung der Freiheit der Philosophie. TH. DE BOER AMSTERDAM, am 8. Januar 1987.